Neue Familienmodelle: Zusammenleben im Patchwork-Style
Per Definition im soziologischen Sinn bezeichnet der Begriff "Familie" im weitesten Sinne eine Lebensgemeinschaft. Diese entsteht durch das Eingehen einer Partnerschaft durch Heirat, Geburt oder Adoption von Kindern und wird in den verschiedenen Kulturkreisen unterschiedlich gelebt. Das seit den 50er und 60er Jahren in Deutschland bestehende traditionelle Familienmodell ist in der heutigen modernen Zeit nicht mehr selbstverständlich. Bedingt durch die Emanzipation der Frau, die Akzeptanz von Homosexualität, aber auch durch wirtschaftliche, politische und soziale Faktoren finden sich heute unterschiedliche und alternative Familienmodelle. Viele Ehen werden geschieden, die Scheidungsrate in Deutschland lag laut statistischem Bundesamt im Jahr 2015 bei über 40 Prozent. Neue Beziehungen und Partnerschaften werden eingegangen, Kinder wachsen in neu entstehenden Familiengefügen auf. Dies bedeutet Neuorientierung, Chance und Vielfalt, ist jedoch auch oft mit Problemen für alle Beteiligten verbunden.
Was genau ist eine Patchwork-Familie?
Der Begriff Patchwork-Familie wird heute in moderner und neudeutscher Ausdrucksweise für den ursprünglichen Begriff der Stieffamilie verwendet. Stieffamilien entstehen, wenn mindestens ein Elternteil mit Kind nach einer gescheiterten Beziehung eine neue Beziehung eingeht. Die neu entstehende Familie mit dem neuen Partner und Kind oder Kindern aus vorhergehenden Beziehungen wird nun so bunt und vielfältig wie ein Flickenteppich (englisch: patchwork). Man schätzt, dass in Deutschland heute etwa jede zehnte Familie im Patchwork-Style zusammenlebt.
Eltern verlieben sich neu – Glück auch für die Kinder?
Nach einer Trennung oder Scheidung vom Partner bleiben Eltern oft nicht alleine, verlieben sich wieder und finden ein neues Glück. Man schwebt auf rosa Wolken, könnte die ganze Welt umarmen, fühlt sich wieder glücklich, ausgeglichen und rundum mit sich und der Welt zufrieden. Beide Partner wünschen sich natürlich, dass die Kinder aus der vorherigen Beziehung dies genauso sehen. Pläne des Zusammenlebens werden geschmiedet, der Wunsch nach einer harmonischen Beziehung zwischen den Partnern und den Kindern steht an oberster Stelle. Das Patchwork-Gefüge soll funktionieren, alle Beteiligten sollen so glücklich sein wie das frisch verliebte Paar. In der Realität sieht dies jedoch erst einmal oft anders aus. Das Zusammenleben in einer Patchwork- Familie bedeutet in erster Linie für die Kinder Veränderung und damit veränderte Rollen für jeden, abseits des Gewohnten. Ein neuer Partner ist plötzlich ein neuer "Erzieher" mit vielleicht neuen, ungewohnten und anderen Wertvorstellungen als bisher. Wohnort und Schule werden gewechselt, das Kind muss sich neu orientieren, einen neuen Freundeskreis aufbauen, bekommt vielleicht noch Stiefgeschwister dazu, das gesamte Leben verändert sich plötzlich eklatant. Egal wie sich die neue Konstellation darstellt, egal in welchem Lebensalter sich die Kinder befinden: Veränderungen rufen Ängste hervor, Unsicherheiten, Rollenkonflikte, Identitätsprobleme. Sicherheit, Gewohnheit und Struktur des bisherigen Lebens sind plötzlich nicht mehr da, das neue Familiengefüge muss sich für das Kind erst bewähren. Es muss das Gefühl des Vertrauens und der Sicherheit vermitteln können, das Kind muss spüren: Hier fühle ich mich geborgen, hier bin ich zu Hause, hier werde ich mit meinen Sorgen, Ängsten und Problemen ernst genommen. Daraus ergibt sich für das Patchwork- Elternpaar eine große und verantwortungsvolle Aufgabe den Kindern gegenüber. Neben dem eigenen Glück und des Verliebtseins immer das Wohl der Kinder im Auge behalten. Feinfühlig auf deren Reaktionen einzugehen, Veränderungen wahrzunehmen und entsprechend darauf zu reagieren.
Kinder behutsam auf Veränderungen vorbereiten
Sicherlich gibt es kein Patentrezept wie eine neu entstehende Familie funktionieren kann. Beide Partner bringen Norm- und Wertvorstellungen bezüglich des Zusammenlebens und der Kindererziehung in die neu entstandene Familie mit ein. Beide Partner haben bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und Charaktereigenschaften, die deren Beziehung und die Beziehung zu den Kindern beeinflussen. Wichtig ist, dass beide Partner sich auf einer Linie bewegen was Wertvorstellungen, Familienleben und den Umgang mit den Kindern anbelangt. Es sollte in der neu entstehenden Familie stets ein offener, empathischer und wertschätzender Kommunikationsstil vorhanden sein. Beide Partner müssen offen miteinander sprechen, was eigene Vorstellungen und die Bedürfnisse der Kinder anbelangt. Eigenes Verhalten und Handeln sollte stets reflektiert werden. Sicherlich oft keine leichte Aufgabe, aber das Ziel einer harmonisch und gut funktionierenden Familie sollte oberste Priorität besitzen.
Folgende Tipps können hilfreich sein:
- Nehmen Sie sich Zeit. Alles Neue und jede Veränderung braucht Zeit, bis sich jeder in der Familie an die veränderte Situation gewöhnt hat
- Überfordern Sie Ihre Kinder nicht mit zu viel Input. Lassen Sie sich Zeit und wählen Sie den Zeitpunkt bewusst aus, den Kindern den neuen Partner vorzustellen. Planen Sie einen gemeinsamen Ausflug, um sich gegenseitig kennenzulernen und zu "beschnuppern"
- Arbeiten Sie in offenen Gesprächen je nach Alter der Kinder die Trennung vom letzten Partner und die Vergangenheit auf. Sprechen Sie mit den Kindern über deren Wünsche, Erwartungen, Ängste und Sorgen. Akzeptieren Sie, dass die neue Familie nicht von heute auf morgen perfekt funktioniert, sondern dass jede Veränderung einen langwierigen Prozess darstellt
- Versuchen sie als neuer Partner nicht den Vater oder die Mutter zu ersetzen, sondern bauen Sie mit dem Stiefkind eine freundschaftliche und partnerschaftliche Beziehung auf
- Versichern Sie Ihrem eigenen Kind immer, dass es stets und uneingeschränkt von Ihnen so geliebt wird wie zuvor, auch wenn neue Kinder in die Familie kommen, die von Ihrem Kind möglicherweise als Konkurrent betrachtet werden
- Akzeptieren und respektieren Sie die Kinder Ihres neuen Partners
- Unternehmen sie auch innerhalb der neu entstandenen Familie etwas alleine mit Ihrem eigenen Kind und widmen Sie ihm auch bewusst alleine Ihre Zeit
- Überstürzen Sie nichts und geben sich Zeit, dass sich alle aneinander gewöhnen. Haben Sie Geduld mit sich und Ihrer neuen Familie. Ihre Kinder werden es Ihnen danken. Denn trotz gravierender Veränderungen besteht die Chance auf bunte Vielfalt. Ihr Kind lernt, sich auf Neues einzustellen und mit veränderten Situationen klarzukommen. Es lernt Kompromisse zu schließen und die Bedürfnisse anderer Menschen wahrzunehmen und zu respektieren
Ausblick aktuell:
Die Ehe für alle im Sinne veränderter und neuer Familienmodelle wird zur Zeit kontrovers diskutiert. Hierbei geht es um die Forderung der kompletten Gleichstellung von homosexuellen Paaren bezüglich der Ehe. Seit dem Jahr 2001 ist für diese Paare die Form der eingetragenen Lebenspartnerschaft legal, die kompletten Rechte wie in einer Ehe bestanden jedoch bisher noch nicht komplett, vor allem was das Adoptionsrecht angeht. Aktuell wendet sich die Fraktion der CDU/CSU mehrheitlich noch gegen die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften und möchte diesen nicht die Rechte einer "klassischen" Ehe einräumen. Frau Merkel äußerte sich dahingehend sehr offen und interpretationswürdig, indem sie die Entscheidung darüber als Gewissensentscheidung bezeichnet und somit jegliche persönliche Meinung und Einstellung zu dem Thema offen lässt. Diese Gelegenheit ließen sich die weniger konservativen Parteien nicht nehmen und brachten im Juli 2017 einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg, der im Bundestag (!) mit großer Mehrheit bestätigt wurde.
Im Sinne
veränderter Familienstrukturen im Patchwork-Style ist das auch aus unserer Sicht ein Ansinnen, das durchaus legitim und
verständlich ist. Das finale Ergebnis bleibt mit Spannung zu erwarten.
Warum finales Ergebnis?
Eine Gesetzes-Änderung wie diese benötigt die Zustimmung des Bundesrates. Ob hier eine 2/3 Mehrheit zustimmen wird steht aktuell noch aus. Wir beobachten also weiter und hoffen auf das Beste...
[KG / TS]